Angst: Wege aus der Sorgenfalle

Manchmal reicht ein einschneidendes Ereignis, berichtet Weiss, und aus normaler Angst wird nagende Furcht, die den Alltag fast unerträglich macht. „Wird die Krankheit erkannt, ist die Hälfte des Wegs zur Heilung schon gegangen“, sagt die Hausärztin. „Patienten sollten sich nicht zu lange nur mit Untersuchungen aufhalten, sondern ein Gespräch suchen.“, fragt Melanie T. (36)

Weiss

Es antwortet Dr. Kristina Weiss, Hausärztin aus Dresden:

Sorgen und Ängste gehören zum Alltag, da haben Sie recht. Sie haben sogar viel Gutes, denn sie signalisieren, wenn etwas nicht stimmt. Das bewahrt uns vor Leichtsinn, erspart uns Fehlentscheidungen – und rettet uns mitunter vor einer lebensbedrohlichen Gefahr. Doch Sorgen können auch krank machen, wenn sie zum Dauerzustand werden und das gesamte Leben überschatten. Ärzte sprechen dann von einer generalisierten Angststörung.

Typisch ist ein tief eingegrabenes seelisches Unbehagen. Es raubt einem Freude und Zuversicht. Die Gedanken kreisen um Probleme und Befürchtungen. Einen Ausweg scheint es nicht zu geben. Oft äußert sich die Angst auch körperlich: Die Patienten schrecken aus dem Schlaf, liegen wach, grübeln und sind aufgewühlt. Viele kennen Herzrasen oder Herzstolpern, Magenschmerzen, Schwindel, Schweißausbrüche oder Atemnot.

Der Körper reagiert auf Probleme

Solche Symptome können ganz verschiedene Ursachen haben. Das macht es Betroffenen schwer, sie richtig einzuschätzen und zu beurteilen, wann sie Hilfe brauchen. Die Übergänge zwischen normaler Sorge und krankhafter Furcht sind fließend. Ein Alarmzeichen ist es jedoch, wenn etwa wohlmeinenden Menschen aus der engeren Umgebung Veränderungen im Wesen und Gemüt auffallen. Sie sollten daher den Hinweis Ihres Mannes ernst nehmen und einem Arzt Ihres Vertrauens von Ihren Sorgen und Schlafstörungen berichten. Leiden Sie tatsächlich an einer generalisierten Angsterkrankung, kann der Arzt diese gut behandeln. Je früher die Therapie einsetzt, je weniger sich die Angst verfestigen konnte, desto schneller und einfacher lässt sich das Sorgenkarussell meist stoppen.

Ein guter Ansprechpartner ist der Hausarzt. Er kennt Sie in der Regel schon länger. Er hat nicht nur Einblick in Ihre Krankenakte, sondern kennt auch Ihre soziale und persönliche Situation. Mit ihm ist ein unbefangenes Gespräch möglich, das Ihre Lage ganzheitlich erfasst und nicht nach einer Untersuchung und Beurteilung Ihres organischen Zustands endet. Für die richtige Diagnose ist es oft sogar wichtig, dass Patienten dem Arzt frühzeitig von seelischen Belastungen berichten. Das spielt immer dann eine Rolle, wenn der Ursprung körperlicher Beschwerden nicht offensichtlich ist. Studien zufolge gibt es bei rund der Hälfte aller körperlichen Symptome eine Verbindung mit der psychischen Verfassung. Bekannt ist etwa, dass wir Schmerzen als schlimmer empfinden, wenn wir ängstlich oder schwermütig sind. Umgekehrt können uns dauernde Schmerzen seelisch so zermürben, dass wir überbesorgt oder depressiv werden.

Beschwerden sind nicht eingebildet

Als Hausärztin weiß ich, dass kaum jemand gerne über innere Belastungen spricht. Das hat mit unserer Gesellschaft zu tun, in der vor allem der Erfolg berichtenswert ist. Viele Patienten fürchten den Makel, den es mit sich bringt, „etwas mit den Nerven zu haben“. Andere fühlen sich wie „eingebildete Kranke“ nicht ernst genommen, wenn sich für Symptome wie Herzrasen oder Atemnot keine organische Ursache finden lässt.

Natürlich redet sich ein Angst-Patient körperliche Beschwerden nicht ein. Das wird an einem alltäglichen Beispiel klar: Vor Prüfungen oder wichtigen Ereignissen leiden viele Menschen an Durchfall. Kaum hat der Termin begonnen, sind die Beschwerden vorbei. Die Betroffenen haben keine Darmerkrankung – die Aufregung, also die Psyche, löst die Verdauungsstörung aus.

Patienten mit einer generalisierten Angststörung sind ständig angespannt. Das kann dauerhafte Beschwerden wie Schlafstörungen oder Konzentrationsprobleme verursachen – aber auch anfallartige Panikzustände. Plötzlich rast der Puls, die Luft wird knapp. Den Patienten ist schwindelig, sie schwitzen und fürchten zu sterben. Der Notarzt wird gerufen. Die anschließenden Untersuchungen bleiben ohne Ergebnis. „Ihnen fehlt nichts“ ist in diesem Fall nur bedingt eine gute Nachricht, denn die Anfälle kommen wieder. Mit jedem wächst die Furcht vor dem nächsten. Die Angst vor der Angst bildet einen Teufelskreis. Betroffene können daraus nicht ohne Hilfe entrinnen – selbst dann nicht, wenn ihnen der Mechanismus bewusst ist.

Angsterkrankung verhindern

Ich rate Patienten in seelischer Not daher, sehr früh auf ihren Arzt zuzugehen – auch wenn sie glauben, dass ihr Problem anderen Menschen klein vorkommen muss. Was zählt, ist ihr Empfinden. Mehr als zwei, drei Wochen in Dauersorge sollten sie nicht abwarten. Bei rechtzeitigem Eingreifen lässt sich der Wandel von einer normalen Krise zu einer Angsterkrankung häufig abwenden. Entspannungstraining, pflanzliche Arzneien, entlastende Gespräche oder eine Kur stellen nur einige Möglichkeiten dar.

Leider besteht eine Angsterkrankung häufig mehrere Jahre, ehe sie einem Arzt auffällt. Die Patienten versuchen, sich selbst zu therapieren, und zwingen sich mit eisernem Willen, nach außen hin zu funktionieren. Doch auch bei tief verwurzelten Ängsten gibt es Hilfe: Bei einer Gesprächstherapie lernen Patienten, ihre Sorgen zu beherrschen. Sie trauen sich wieder zu, Probleme zu lösen, statt in Furcht zu erstarren. Die Angst schrumpft auf ein Normalmaß zurück. Das kann Monate dauern, doch die Methode hat sehr gute Erfolgsaussichten. Eine Wartezeit bis zum Beginn der Therapie kann der Hausarzt mit entlastenden Hilfen überbrücken.

Quelle: Wort&Bild Verlag; HausArzt-PatientenMagazin
Foto: W&B/Simon Katzer