Häusliche Pflege: Hilfe für die Helfer

„In letzter Zeit schlafe ich oft schlecht, habe ständig Kopfschmerzen und bin erschöpft. Dabei muss ich doch meine Mutter pflegen. Was soll ich nur tun?“, fragt Petra S. (56)

Lichte

Hausarzt Professor Thomas Lichte, Lauenbrück
Der Facharzt für Allgemeinmedizin, Psychotherapeut und Palliativmediziner ist neben seiner Praxisarbeit Lehrstuhlinhaber für Allgemeinmedizin an der Universität Magdeburg. An der Erstellung der Leitlinien „Pflegende Angehörige“ der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) war er federführend beteiligt.

Es antwortet: Professor Thomas Lichte, Hausarzt aus Lauenbrück

Bei Menschen, die wie Sie einen Angehörigen zu Hause betreuen, greife ich gerne auf einen anschaulichen Vergleich zurück. Ich bitte sie, den Ladezustand ihrer inneren Batterie mit einer Farbe zu beschreiben: Grün bedeutet „gut gefüllt, voll einsatzbereit“, bei Gelb neigt sich die Kraft schon ein wenig, und Rot signalisiert: „Vorsicht, gleich entladen!“ Wie würden Sie den Zustand Ihrer Batterie beschreiben? Wohl kaum mit Grün, denn Sie fühlen sich kraftlos und erschöpft. Vermutlich eher mit Gelb. Oder gar mit Rot?

Der Batterie-Vergleich ist nicht nur anschaulich, sondern auch sehr treffend, denn häusliche Pflege – so erfüllend sie manchmal auch sein mag – strengt an. Es kostet eine Menge Kraft, wenn man wie Sie und Millionen andere Menschen in Deutschland einen Angehörigen pflegt.

Ein Problem besteht darin, dass der Einsatz oft nicht angemessen gewürdigt wird. Familie und Freunde halten die Betreuung für normal. Die gepflegte Person wiederum hat nicht den nötigen Abstand, um die richtigen, anerkennenden Worte zu finden, oder die Krankheit macht es ihr unmöglich. Letzteres kommt bei Demenzpatienten häufiger vor und kann die Belastung für den Pflegenden zusätzlich erhöhen, weil es den Kontakt und Austausch zwischen den Beteiligten sehr erschwert.

Um diese Situation zu meistern, ist es wichtig, den Ladezustand der inneren Batterie im Auge zu behalten – und ihn ehrlich und richtig zu beurteilen. Was einfach klingt, erweist sich mitunter als sehr schwer. Denn wer gesteht sich schon gerne ein, erschöpft zu sein und nicht mehr zu können? Jenen Menschen, die jemanden vor allem aus Pflichtgefühl pflegen, gelingt es meiner Erfahrung nach eher, zu sagen: „Stopp, es geht nicht mehr!“ Dagegen fällt es jenen, die sich selbstlos um einen Kranken kümmern, besonders schwer. Sie haben oft das Gefühl, sie würden den Gepflegten verraten, ihn im Stich lassen, wenn sie nicht mehr können.

Insofern überrascht es nicht, dass viele Pflegende es verdrängen oder nicht bewusst wahrnehmen, wenn ihre Batterie schwächelt. Bisweilen macht dann der Körper auf das Problem aufmerksam, beispielsweise mit Rücken- oder Knieschmerzen, Müdigkeit, Erschöpfung oder Schlafstörungen. Diese Symptome gelten als typische Warnzeichen für Überlastung. Vielleicht haben Sie auch schon darüber nachgedacht, ob Ihre Beschwerden mit der Pflegesituation zu tun haben könnten. Das wäre möglich. Vielleicht besprechen Sie das Problem mit Ihrem Hausarzt, wenn Sie ihn das nächste Mal sehen.

Da viele Hausärzte Pflegende und Gepflegte betreuen, sind sie oft in der Lage, zwischen beiden Seiten vermitteln zu können. Denn es gilt auch, auf das Befinden des Gepflegten und seine Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen, auf seine Angst, allein gelassen oder in ein Heim abgeschoben zu werden. Viel ist gewonnen, wenn die Situation für beide Seiten nachvollziehbar und verständlich wird. Schließlich schadet es dem Gepflegten wie dem Pflegenden, wenn nichts gegen dessen schwindende Kräfte unternommen wird.

Allgemeingültige Lösungen, die Batterie wieder aufzuladen und Entlastung zu erhalten, gibt es nicht. Doch die Möglichkeiten sind so vielfältig, dass sich für jede Situation eine spezifische Lösung findet. Auf diesen Seiten haben wir für Sie einen Überblick über die verschiedenen Hilfs- und Unterstützungsangebote zusammengestellt. Ausführlichere Informationen bieten Ihnen Pflegekassen oder Beratungsstellen für pflegende Angehörige und natürlich Ihr Hausarzt.

Mehr zu verschiedenen Hilfs- und Unterstützungsangeboten für häusliche Pflegesituationen erfahren Sie hier:

Erleichternde Gespräche

Viele pflegende Angehörige empfinden den Austausch mit Menschen, die eine vergleichbare Situation erleben, als sehr hilfreich. Es tut ihnen gut, Erfahrungen und Gefühle mit anderen zu teilen, die ähnliche Entbehrungen in Kauf nehmen, ähnliche Schwierigkeiten und Sorgen haben. Den Kontakt zu Selbsthilfegruppen stellen Beratungsstellen für pflegende Angehörige, Hausärzte oder Pflegekassen her. Auch stabile Freundschaften und enge Kontakte innerhalb der Familie sind für viele Pflegende wichtige Stützen, um mit der Belastung zurechtzukommen

Finanzielle Unterstützung

Menschen, die einen Angehörigen zu Hause pflegen, steht finanzielle Unterstützung zu. Diese leisten die Pflegekassen. Voraussetzung für Zuwendungen ist die Einordnung in eine Pflegestufe, die der Medizinische Dienst der Krankenkassen vornimmt. Um Missverständnisse bei der Beurteilung zu vermeiden, empfiehlt es sich, ein Pflegetagebuch zu führen. Darin sollte genau festgehalten sein, wie viel Zeit für welche Maßnahmen täglich aufgewendet wird. Die Höhe des Pflegegelds – innerhalb einer Pflegestufe – hängt davon ab, ob professionelle Dienstleister (siehe unten) die Pflege unterstützen. Sinnvoll ist es, das Geld zur Erleichterung der Pflegesituation einzusetzen.

Zeitliche Entlastung

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die tägliche Pflege auf mehrere Schultern zu verteilen oder die Routine zu durchbrechen. Stundenweise Entlastung bieten Helfer, die ins Haus kommen. Manche Einrichtungen haben Betreuungsgruppen, an denen der Gepflegte halbtags teilnehmen kann. Im Rahmen von Tages- oder Nachtpflege erfolgt die Betreuung für zwölf Stunden in einer Einrichtung. Wird dieses Angebot in Anspruch genommen, erhöhen sich die Leistungen der Kasse. Erkranken pflegende Angehörige oder müssen sie sich länger erholen, sind Verhinderungs- oder stationäre Kurzzeitpflege Alternativen.

Zeit für eigene Interessen

Ausspannen, abschalten, auf andere Gedanken kommen – eine Auszeit von der Pflege lädt eine entleerte innere Batterie wieder auf. Ein Kuraufenthalt oder ein Urlaub tut Körper und Psyche gut. Die Betreuung kann den Pflegenden so vereinnahmen, dass er vereinsamt. Experten raten, sich regelmäßig Zeit für sich selbst und die eigenen Interessen zu nehmen: Sport treiben, ins Theater gehen, sich mit Freunden treffen ...

Hilfreiches Wissen

Pflege will gelernt sein. In speziellen Kursen wird das nötige Wissen vermittelt. Dabei geht es zum einen um Techniken wie richtiges Heben, Umbetten und Waschen des Pflegebedürftigen. Zum anderen werden die Leistungen der Pflegekassen angesprochen, medizinische Kenntnisse vermittelt und erläutert, wie sich die Kommunikation zwischen Pflegendem und Gepflegtem verbessern lässt.

Erleichternde Umbauten

Wer denkt schon beim Einrichten der eigenen vier Wände an eine mögliche Pflegesituation? Stufen, enge Gänge, Badewannen – im normalen Alltag und für Gesunde sind sie keine Hindernisse. Beim Pflegen eines Menschen allerdings können sie die Betreuung erschweren. Daher übernehmen die Pflegekassen Umbaukosten und bezahlen verschiedene Hilfsmittel wie Wannenlifte, Drehscheiben oder spezielle Betten.

Quelle: Wort&Bild Verlag; HausArzt-PatientenMagazin
Foto:W&B/Ronald Frommann