Selbstmessung: Sinnvoller Zuckertest

„Ich (Typ-2-Diabetiker, Medikamente) lese öfter, dass die regelmäßige Selbstmessung des Zuckers wichtig sei. Ich bekomme aber nicht genug Teststreifen verordnet, um täglich zu messen. Läuft da etwas falsch?“, fragt Manfred S. (62)

Hildebrandt

Hausärztliche Internistin und Diabetologin Dr. Silvia Hildebrandt, Thale
Hildebrandt behandelt seit mehr als 20 Jahren Diabetiker, seit 1996 in einer Schwerpunktpraxis. In Deutschland sind sechs bis acht Millionen Menschen von Diabetes betroffen – viele ohne es zu wissen. „Diabetiker sind nicht schuld an ihrer Erkrankung“, sagt sie, „aber verantwortlich für ihre Zukunft.“

Es antwortet Dr. Silvia Hildebrandt, Diabetologin und hausärztliche Internistin aus Thale:

Die Selbstkontrolle ist ein sehr wichtiger Faktor in der Diabetes-Behandlung. Das bedeutet jedoch nicht, dass jeder Patient täglich mehrmals seinen Blutzucker messen muss. Wie häufig eine Selbstmessung sinnvoll ist, hängt davon ab, welche Therapie Sie erhalten und wie stabil Ihr Zuckerstoffwechsel ist. Falls er gut eingestellt ist, kann für Sie als nichtinsulinpflichtigen Typ-2-Diabetiker ein einziger Kontrolltag im Monat ausreichen, an dem Sie dann jeweils mehrmals messen.

Vorteile bei vernünftiger Handhabung

Ihre Verunsicherung ist verständlich, denn immer noch wird der Sinn der Blutzucker-Selbstmessung bei Typ-2-Diabetikern oft infrage gestellt. Dabei ist die Datenlage sehr umfangreich. Die Studien werden jedoch kontrovers diskutiert. Es gibt aber wissenschaftliche Belege dafür, dass bei vernünftiger Handhabung auch jene Diabetiker von der Selbstkontrolle profitieren, die „nur“ Tabletten einnehmen.
Richtungsweisend ist hier unter anderem die „Rosso-Studie“, die sechseinhalb Jahre lang die Gesundheit von unterschiedlich therapierten Typ-2-Diabetikern in Deutschland dokumentierte. Ergebnis: Von den Patienten, die ihren Zucker kontrollierten, waren halb so viele an Komplikationen gestorben wie in der Vergleichsgruppe. Die Rate der ernsten Folgeschäden lag um ein Drittel niedriger.

Selbsteinschätzung verbessern

Natürlich führt die Messung allein zu keiner besseren Stoffwechseleinstellung. Die Selbstkontrolle ist vielmehr ein wichtiges diagnostisches und therapeutisches Verfahren sowie ein wesentliches Trainings- und Schulungsinstrument für Patienten. Der Nutzen entsteht durch die größere Eigenverantwortung, die Patienten übernehmen, wenn sie ein Gefühl für ihre Erkrankung und die Reaktionen ihres Körpers entwickeln. Sie lernen, ihre Behandlung besser an ihre persönliche Situation anzupassen, und reagieren früher auf Veränderungen. Das ist wichtig, denn häufig kommt es vor, dass ein Patient, dem der Arzt mitteilt, er leide an Typ-2-Diabetes, gar nichts von der Erkrankung spürt. Er neigt dann erst einmal dazu, das Problem zu unterschätzen. Kontrolliert er seine Werte selbst, merkt er schnell, wie sich sein Alltagsverhalten auswirkt. Er sieht mit eigenen Augen, wie Bewegung den Zucker nachhaltig senkt und wie ungünstig schweres Essen ist. Das motiviert zu einem gesünderen Lebensstil.

Risiko für Schlaganfall senken

Im Grunde ist Diabetes eine Gefäßerkrankung. Zu viel Zucker im Blut schädigt die großen und kleinen Blutgefäße. Das Risiko für schwere Folgeschäden – darunter Schlaganfall und Herzinfarkt – ist für einen Diabetiker viermal höher als für einen Gesunden. Diese Gefahren verringern sich aber, wenn die Zuckerwerte möglichst früh und dauerhaft normnah eingestellt sind. Damit das gelingt, ist die Mitwirkung des Patienten unerlässlich.


Der Schwerpunkt jeder Diabetes-Therapie besteht darin, den Patienten mit dem nötigen Wissen und den Fertigkeiten auszustatten, damit er seine Behandlung selbst steuern kann. Schulung, Selbstkontrolle und die regelmäßige Analyse der Stoffwechselsituation beim Arzt sind dafür wichtige Instrumente. Ohne Selbstkontrolle ist eine selbstbestimmte Therapie unmöglich.

Ein Beispiel: Ein Typ-2-Diabetiker, der beruflich viel reist und darum unregelmäßig isst, wird womöglich mit einer intensivierten Therapie – kurz ICT – behandelt. Er muss vor jeder Mahlzeit den Zucker messen, um das Kurzzeit-Insulin richtig zu dosieren. Viele Diabetiker kommen aber mit deutlich weniger Selbstmessungen zurecht. Etwa, wenn sie nur Tabletten einnehmen – von denen aber einige auch Unterzuckerungen auslösen können – und wenn ihr Stoffwechsel stabil ist. In solchen Fällen reicht es, in größeren Abständen ein Tagesprofil mit Nüchternblutzucker und Blutzucker jeweils zwei Stunden nach den Hauptmahlzeiten zu erstellen. Diese Werte müssen mit dem Arzt besprochen und ausgewertet werden, um keine Verschlechterung zu übersehen.

Häufigkeit individuell festlegen

Täglich nach jedem Kuchen zu messen brächte hier keinen Vorteil. Für unnötige Messungen wird der Arzt keine Teststreifen aufschreiben. Er entscheidet, was im konkreten Fall ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich in der Therapie ist. Umgekehrt kann keine Krankenkasse ihn zwingen, an Teststreifen zu sparen, wenn er deren Notwendigkeit begründen kann. Die Häufigkeit der Selbstmessung wird also immer individuell festgelegt.

Tipps: Richtig Blutzucker messen

Weitere Kontrollen mit Sinn

Blutdruck: Rund drei Viertel aller Diabeteskranken haben auch einen erhöhten Blutdruck. Das steigert das Risiko für Folgeschäden zusätzlich. Eine regelmäßige Kontrolle ist umso wichtiger, weil Bluthochdruck keine Schmerzen verursacht und oft unterschätzt wird. Beim Messen erfahren die Patienten, wie Ernährung, Bewegung und Stress ihre Werte beeinflussen. Sie erkennen außerdem, dass der Druck schnell wieder steigt, wenn sie ihre Medikamente absetzen. Der Leitsatz „Eine Blutdrucktherapie ist eine lebenslange Aufgabe“ wird dadurch verständlich.

Lunge: Für Asthma-Patienten ist die Selbstkontrolle der Atemstoßstärke mit einem Peak-Flow-Meter genauso wichtig wie die Blutdruckbestimmung für Hochdruck-Patienten. Ohne regelmäßige Peak-Flow-Messung würden viele Betroffene eine wachsende Einschränkung ihrer Lungenfunktion zu spät bemerken und einen Atemnotfall riskieren. Die korrekte Messung und Auswertung der Ergebnisse lernen Asthma-Kranke am besten in einer Schulung.

Blutgerinnung: Mindestens 350 000 Deutsche müssen dauerhaft gerinnungshemmende Mittel einnehmen. In zu hoher Dosierung lösen sie gefährliche Blutungen aus. Darum müssen die Gerinnungswerte regelmäßig überprüft werden. Für einen Teil der Patienten kann es sich lohnen, zusätzlich zu den Kontrollen beim Hausarzt ihre Werte selbst zu bestimmen. Gut geschulte Patienten, die selbst messen und ihre Dosierung anpassen können, sind unabhängiger vom Arzt. Die Selbstmessung schont die Venen, da der Patient Kapillarblut verwendet. Zudem sind die Gerinnungswerte bei 80 bis 90 Prozent der selbst messenden Patienten besser eingestellt als bei jenen, die das nicht tun. Die Komplikationsrate sinkt. Meist reicht eine Messung pro Woche.

Quelle: Wort&Bild Verlag; HausArzt-PatientenMagazin
Foto: W&B/Birgitta Kowsky