Migräne: Weniger Kopfschmerzen

„Ich habe Migräne mit Aura – mit Lähmungen und Sprachstörungen. Schadet das dem Gehirn? Was kann ich tun?“, fragt Anka N. (31)

Beckamnn-Reinholdt

Allgemeinärztin Dr. Annette Beckmann-Reinholdt, Hamburg
Beckmann-Reinholdt hat sich auf die Therapie von Kopfschmerzen spezialisiert. Sie ist Mitglied der Deutschen Migräne- und Kopfschmerz-Gesellschaft und hat 20 Jahre in einer Migräne-Klinik gearbeitet. Der Leidensdruck der Patienten, sagt sie, würde oft nicht ernst genug genommen.

Es antwortet Dr. Annette Beckmann-Reinholdt, Allgemeinärztin aus Hamburg:

Die Symptome einer Aura können dramatisch sein: vorübergehende halbseitige Lähmungen, Schwierigkeiten beim Sprechen, ein eingeschränktes Gesichtsfeld, Verzerrungen, Flimmern und Lichtblitze vor den Augen oder Halluzinationen, ehe später heftiger Kopfschmerz einsetzt. Das erinnert an einen Schlaganfall und wirkt bedrohlich. Sie müssen sich aber nicht sorgen: Eine Aura schädigt die Hirnzellen nicht. Das ist wissenschaftlich belegt. In Deutschland leiden mindestens sechs Millionen Menschen an Migräne. Etwa 15 Prozent davon erleben vor der eigentlichen Kopfschmerz-Attacke eine Aura. Der Spuk dauert in der Regel etwa eine halbe Stunde und beschränkt sich meist auf Ausfälle beim Sehen. Es sind jedoch – wie bei Ihnen – auch andere Erscheinungsformen möglich. Die Medizin erklärt die Aura derzeit mit der „Cortical Spreading Depression“ (CSD). Dabei werden für einen Augenblick einige Nervenbahnen außergewöhnlich erregt. Dieser Reiz wandert dann in einer Welle über die Gehirnrinde und bedingt zeitweilige Störungen einzelner Körperfunktionen. Auch eine verminderte Durchblutung spielt wohl eine Rolle. Nichts davon lässt jedoch Gehirnzellen absterben.

Kein Grund zur Panik

Viele Patienten sind trotzdem verunsichert, weil sie von Studien lesen, die – angeblich – Hirnschäden durch Migräne nachweisen. Solche Nachrichten müssen zurückhaltend interpretiert werden: Die beschriebenen Veränderungen sind so speziell und gering, dass sie sich auf das Leben nicht auswirken. Richtig ist, dass Migräne ohne und mit Aura bei Frauen unter 45 Jahren das Risiko für einen Schlaganfall steigert. Allerdings besteht auch hier kein Grund zur Panik: Bei jüngeren Menschen sind Schlaganfälle so selten, dass selbst eine erhöhte Wahrscheinlichkeit keine besondere Gefahr bedeutet. Ihr persönliches Risiko minimieren Sie, indem Sie nicht rauchen und auf eine Verhütung mit östrogenhaltigen Mitteln verzichten. Übergewicht, schlechte Cholesterinwerte und Bluthochdruck sind weitere Faktoren, die einen Schlaganfall begünstigen – übrigens wie das Rauchen und die Einnahme der Pille ganz unabhängig von Migräne.

Aura nicht behandelbar

Sie fragen außerdem, ob sich etwas gegen Ihre Kopfschmerzen ausrichten lässt. Leider existiert kein Mittel, um die Aura zu beseitigen. Auch ist Migräne nicht heilbar. Es handelt sich um eine chronische neurologische Krankheit, häufig mit einer erblichen Komponente. Einige Hirnregionen reagieren bei Betroffenen empfindlicher auf bestimmte Reize als bei Menschen ohne diese Anlage. Unter anderem können Hormonschwankungen, Stoffe in Rotwein, Stress oder auch das plötzliche Nachlassen einer Anspannung heftige Schmerzanfälle auslösen. Mit der richtigen Therapie müssen Migränepatienten jedoch nicht übermäßig unter ihrer Erkrankung leiden. Eine gute Kopfschmerzbehandlung beinhaltet zwei Aspekte: zum einen die schnelle und deutliche Linderung einer akuten Attacke, zum anderen eine wirksame Vorbeugung gegen allzu viele Schmerztage in kurzen Abständen. Das Ziel sind weniger Einschränkungen im gesellschaftlichen Leben und weniger Ausfälle bei alltäglichen Verpflichtungen.

Zwei Drittel der Patienten unzufrieden

Eine europaweite Umfrage von Patientenverbänden hat jedoch bestätigt, dass die medizinische Versorgung diesem Anspruch oft nicht gerecht wird: Rund zwei Drittel der Migränegeplagten zeigten sich unzufrieden. Jeder Dritte empfand seine Behandlung als ineffizient. Und fast die Hälfte glaubt, dass ihr Arzt nicht versteht, wie schlimm und beeinträchtigend die wiederkehrenden Schmerzanfälle sind. Der wichtigste Rat lautet daher: Suchen Sie sich einen Mediziner, der die Beschwerden nicht als Befindlichkeitsstörungen abtut. Das kann ein Hausarzt sein oder ein Kopfschmerzspezialist. Für die Behandlung von akutem Kopfweh mit Schmerzmitteln gibt es Leitlinien, die sich bei der Migräne- und Kopfschmerz-Gesellschaft nachlesen lassen (www.dmkg.de).

Zahl der Attacken verringern

Eine vorbeugende Therapie ist für Sie als Patientin mit Migräne mit Aura lohnenswert bei mehr als zwei Attacken im Monat oder auch bei weniger Anfällen, falls Ihre Aura sehr lange dauert oder Sie die darauf folgenden Schmerzen mit den Akutmedikamenten nicht gut in den Griff bekommen. Auch für diese Prophylaxe existieren Leitlinien. Da verschiedene Substanzen, wie Betablocker oder Kalziumkanal-Blocker zur Verfügung stehen, sind die Erfolgsaussichten sehr gut. Allerdings muss jedes vorbeugende Mittel wenigstens drei Monate lang in ausreichender Dosierung genommen werden, ehe sich die Wirksamkeit beurteilen lässt. Manchmal sind mehrere Versuche notwendig. Entscheidend ist, sich bei der Migränebehandlung nicht ausschließlich auf Arzneimittel zu verlassen. Ein regelmäßiger Tagesablauf, Strategien zur Stressbewältigung – wie die Muskelentspannung nach Jacobson – und Ausdauersport helfen nachweislich, das Schmerzleiden zu lindern. Solche Maßnahmen beruhigen das empfindliche Nervensystem von Migräne-Patienten.

Quelle: Wort&Bild Verlag; HausArzt-PatientenMagazin
Foto:W&B/Ronald Frommann